Honorary Mention
Kurz nach Mitternacht am 18. September 2013 wurde Pavlos Fyssas, ein junger griechischer antifaschistischer Rapper, in seinem Heimatort Keratsini, Athen, ermordet. Sowohl der Mörder als auch andere am Angriff Beteiligte waren Mitglieder der neonazistischen Organisation Golden Dawn.
Seit ihrer Gründung in den 1980er Jahren wurden von Golden Dawn Gewalttaten gegen MigrantInnen und politische GegnerInnen verübt, doch die meisten dieser Verbrechen sind durch die stille Unterstützung aus Kreisen der griechischen Polizei, mit ihrer nationalistischen Ausrichtung, ungestraft geblieben. Nach der Ermordung des griechischen Staatsbürgers Fyssas war die nationale Regierung schließlich gezwungen, eine Reihe von Verhaftungen vorzunehmen. Neunundsechzig Golden Dawn-Mitglieder, darunter all ihre fünfzehn Parlamentsabgeordneten, wurden vor Gericht gestellt. Anklagen im Prozess, die sich auf Ereignisse zurück bis zum Jahr 2008 beziehen, behaupten, dass Golden Dawn selbst während der Mandatszeit im nationalen Parlament als kriminelle Organisation agiert habe. Auch wenn der laufende Prozess die Existenz von Golden Dawn als politische Partei bedroht, zögern die griechischen Gerichte weiterhin, die Rolle der Polizei bei der Vertuschung dieser Verbrechen zu untersuchen.
Forensic Architecture wurde von der Familie Fyssas und ihren gesetzlichen Vertretern beauftragt, die Ereignisse der Nacht anhand des dem Gericht zur Verfügung gestellten Audio- und Videomaterials zu rekonstruieren. Die daraus resultierende Videountersuchung und der dazugehörige Bericht, der dem Athener Gerichtssaal am 10. und 11. September 2018 vorgelegt wurde, vereint CCTV-Material, Aufzeichnungen der Kommunikation zwischen Polizei und Rettungsdiensten sowie Zeugenaussagen. Wir haben einen genauen Zeitplan und eine Rekonstruktion der Ereignisse, die zu dem Mord geführt haben, aufgestellt.
Die Untersuchung ergab, dass Mitglieder von Golden Dawn, einschließlich hoher Beamter, in Bezug auf den Mord koordiniert handelten und dass Mitglieder der griechischen Eliteeinheit der Spezialpolizei, bekannt als DIAS, vor, während und nach dem Mord am Tatort anwesend waren und nicht eingriffen.
Credits
Projektleitung: Christina Varvia
Projektkoordinator: Stefanos Levidis
Videoermittlung: Simone Rowat
Forschungsassistenz: Stefan Laxness, Nicholas Masterton, Sofia Georgovassili, Sarah Nankivell, Fivos Avgerinos, Dorette Panagiotopoulou.
Berater für die Sound-Analyse: Lawrence Abu Hamdan, Shakeeb Abu Hamdan.
Forschungsunterstützung: Eyal Weizman
Projektunterstützung: Sarah Nankivell, Robert Trafford
Forensic Architecture (FA) ist eine Forschungsagentur mit Sitz in Goldsmiths, University of London. FA führt mit und im Namen von politischer Gewalt Betroffenen, Menschenrechtsorganisationen, internationalen StaatsanwältInnen, Umweltgerechtigkeitsgruppen und Medienorganisationen umfassende räumliche und mediale Untersuchungen zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen durch. Durch die Analyse, Lokalisierung und Rekonstruktion von Gewalthandlungen zielt FA darauf ab, innovative neue Techniken zur Sammlung und Präsentation von Beweisen zu entwickeln und zu verbreiten. FA hat die eigenen Methoden erfolgreich in wegweisenden internationalen Rechts- und Menschenrechtsfällen getestet, unter anderem an der EMRK, am Internationalen Strafgerichtshof und in den Vereinten Nationen, sowie Arbeiten in wichtigen künstlerischen und kulturellen Institutionen weltweit veröffentlicht und ausgestellt.
Jury Statement
Unter den Einreichungen für den diesjährigen S+T+ARTS Prize, die tendenziell gemeinsame Maßnahmen zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie Klimawandel oder technologische Entwicklungen forderten, hat dieses Projekt deutlich gezeigt, wie weit Ultranationalisten bei der Verfolgung ihrer eigenen Agenda gehen. Forensic Architecture nutzte einen interdisziplinären künstlerischen Ansatz und eine umfassende Partnerschaft zwischen ForscherInnen, WissenschaftlerInnen, VideokünstlerInnen und institutionellen Partnern, um videobasierte Beweise für die Rolle der griechischen Partei Golden Dawn in der Ermordung des griechischen antifaschistischen Rappers Pavlos Fyssas im Jahr 2013 zu schaffen. Durch die Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen durch Golden Dawn mittels Gegennarrativen zum vorherrschenden autoritativen Verständnis der untersuchten Ereignisse fördert das Projekt kontinuierlich einen verstärkten öffentlichen Dialog über Nationalismus, Einwanderung und Politik. Die Jury kam zu dem Schluss, dass aufgeworfenen Fragen zwar noch ungelöst bleiben, aber im aktuellen weltpolitischen Kontext relevanter denn je sein könnten.