Rock Print

Gramazio Kohler Research, ETH Zurich, und Self-Assembly Lab, MIT

Grand Prize – Innovative Collaboration: Für innovative Zusammenarbeit zwischen Industrie oder Technologie und den Künsten (sowie dem Kultur- und Kreativbereich im Allgemeinen), die neue Wege der Innovation eröffnen.

Rock Print untersucht ein als Jamming bekanntes Phänomen aus der Physik, bei dem granulare Materie von flüssigem in festen Zustand wechseln kann und vice versa. Rock Print nutzt diese Eigenschaften in einem kongruenten Konstruktionssystem, das: 1) computergestütztes Design einsetzt und mittels robotergestützter Fabrikationstechnologie realisiert wird, 2) unter Verwendung von Schüttgut minderer Qualität wie Schotter hochdifferenzierte und tragfähige Konstruktionen in architektonischem Maßstab hervorbringen kann und 3) zur Gänze rückbaubar ist. Das Konstruktionssystem funktioniert wie folgt: Um steuern zu können, wo und wie das Jamming bei Schotter einsetzt, muss die Dichte zwischen den Aggregaten auf einen Wert reduziert werden, der sie zwingt, sich wie ein Festkörper zu verhalten. Dies ist durch Verwendung einer Zugbewehrung wie einer Schnur zur Begrenzung des Schotters zu erreichen. Ein Roboterarm ermöglicht die präzise Positionierung der Schnur in einem auf einem digitalen Entwurf basierenden Muster und definiert so die Umrisse eines spezifischen architektonischen Artefakts. Zieht man an der Schnur, wird eine Kettenreaktion ausgelöst, die Schotter und Schnur in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt und die Konstruktion zusammenbrechen lässt.

Rock Print wurde 2015 bei der Eröffnung der Architekturbiennale in Chicago in einem architektonischen Kontext präsentiert. Das Design ging von den Eigenschaften des Konstruktionssystems aus. Die Konstruktion erhob sich auf vier schlanken Beinen, die einen massiven auskragenden Körper trugen. Der obere Teil nimmt mehr Masse auf als der untere, um die Kompression des unteren Bereichs zu erhöhen und eine größere Oberflächenfestigkeit der Teile zu gewährleisten, die die BesucherInnen zu sehen bekamen. Rock Print wurde in situ mit einem leichtgewichtigen Roboterarm konstruiert, der mit einem auf einem Gerüst angebrachten, die Schnur auslegenden Endeffektor und einem schrittweise aufgebauten Behälter ausgestattet war. Der Behälter hatte – angepasst an den Arbeitsbereich des Roboters – die Maße 1,2 x 1,5 x 4 m, die eine vollumfängliche Nutzung desselben ermöglichten.

Rock Print

Rock Print wurde in einem Innenraum ausgestellt und musste aus diesem Grund leichtgewichtig sein. Daher kamen anstelle von Schotter Schaumglasaggregate (wie sie für selbstisolierenden Beton verwendet werden) zum Einsatz. Die Schnur bestand aus einer Kombination von Polyesterfasern und rezyklierten Textilien. Insgesamt wurden 8 m3 Aggregate und eine 10 km lange Schnur verwendet. Der Herstellungsprozess erfolgte in zwei Phasen. In der ersten wurde die Konstruktion im Inneren des Behälters hergestellt. Der Roboter legte gemäß Computeralgorithmen eine Schnur aus, über die manuell eine Aggregatschicht geschüttet wurde. Um eine korrekte Komprimierung der Aggregate zu gewährleisten, wurde ein Betonverdichter verwendet. Das Verfahren wurde wiederholt, bis die gesamte, aus 200 Schichten bestehende Konstruktion aufgebaut war. In der zweiten Phase wurde der Behälter abgenommen, damit die nicht verstärkten Aggregate abfallen konnten. Anschließend wurde die Konstruktion abgebürstet, um sicherzustellen, dass kein Restmaterial an der Oberfläche haftete. Die Materialreste verblieben am Boden am Fuße des Monoliths, um eine natürliche Barriere zwischen den BesucherInnen und dem Exponat zu schaffen. Rock Print wurde mit einem durchgehenden Schnurnetzes designt und konstruiert, das am Ende der Ausstellung herausgezogen werden konnte. Mithilfe eines Flaschenzugs und einer elektrisch angetriebenen Spule wurde das 10 km lange Schnurnetz abgewickelt. Nach zwei Stunden war Rock Print in das Ausgangsmaterial zurückverwandelt: einen Haufen Steine und eine Spule Schnur.

Rock Print demonstriert das Potenzial des Jammings in granularen Medien zu architektonischen Zwecken. Die Prinzipien des Phänomens sind auf ein breites Spektrum granularer Materie anwendbar, wodurch lokal vorhandene Materialien verwendet werden können. Da diese in ihren ursprünglichen Zustand zurückverwandelt werden können, eröffnen sie neue Möglichkeiten einer wirklich nachhaltigen Baumethode.

Credits

Gramazio Kohler Research, ETH Zurich (CH), Die Forschergruppe an der ETH Zürich unter der Leitung von Prof. Matthias Kohler und Prof. Fabio Gramazio leistet seit ihrer Gründung im Jahr 2005 Pionierarbeit in den Bereichen Robotik und digitale Fertigung in der Architektur. Mit ihren robotischen Labors und ihren Projekten, die von Prototypen bis zu Bauelementen reichen, haben sie ArchitektInnen ebenso wie WissenschaftlerInnen inspiriert, die Möglichkeiten des Industrieroboter als universell einsetzbares Werkzeug des digitalen Zeitalters zu erforschen.

Self-Assembly Lab, MIT (US), Ass.-Prof. Skylar Tibbits ist Gründer und gemeinsam mit Jared Laucks Leiter des Self-Assembly Lab am International Design Center des MIT. Schwerpunkte des Self-Assembly Lab sind sich selbst assemblierende und programmierbare Werkstofftechnologien für neuartige Fertigungsverfahren, Produkte und Konstruktionsprozesse.

Mitarbeiter: Prof. Fabio Gramazio, Prof. Matthias Kohler, Prof. Skylar Tibbits, Andreas Thoma (Projektleitung Installation), Petrus Aejmelaeus-Lindström (leitender Forscher des Projekts), Dr. Volker Helm, Sara Falcone, Jared Laucks, Lina Kara’in, Michael Lyrenmann, Carrie McKnelly, George Varnavides, Stephane de Weck, Dr. Jan Willmann

Ausgewählte Experten: Prof. Dr. Hans J. Herrmann and Dr. Falk K. Wittel (Institute for Building Materials, ETH Zurich), Prof. Dr. Heinrich Jaeger and Kieran Murphy (Chicago University)

Ausgewählte Berater: Walt + Galmarini AG

Unterstützt von: ETH Zurich, ETH Zurich Foundation Grant, MIT’s Department of Architecture, the MIT International Design Center, MIT (MISTI) Grant, Pro Helvetia Swiss Arts Council, swissnex, MISAPOR Beton AG

Fotos: Gramazio Kohler Research

Jury Statement

Rock Print präsentiert ein „granulares 3D-Druckverfahren“ für Objekte in großem Maßstab, bei dem die selbstaggregierenden Eigenschaften des Materials genutzt werden. Dieses visionäre Forschungsprojekt entstand in Zusammenarbeit von Gramazio Kohler Research, der ETH Zürich und dem Self-Assembly Lab am MIT.

Die Jury zeigte sich beeindruckt, wie die Teams innovative Technologien wie Robotik, 3-D-Druck und Selbstassemblierung kombinierten, um neue Ansätze in der architektonischen Konstruktion zu entwickeln. Diese Technik ist, was Form und Konzept anbelangt, von großer minimalistischer Eleganz und wird dem Publikum in situ im öffentlichen Raum und im Labor präsentiert. Die Teams verwendeten granulare Materie und eine Schnur und nutzten das physikalische Phänomen des Jammings, um in großen Maßstab das Konzept der Selbstorganisation zu demonstrieren, das auch in Formen der Natur zu finden ist. Im Fokus stehen generative digitale Fertigungstechniken, wie sie für die Produktion nicht-standardisierter architektonischer Komponenten verwendet werden; das Ziel dabei ist, Kriterien für eine neue Konstruktionslogik zu entwickeln, die sich auf Architektur anwenden lässt.

Rock Print wird mithilfe eines Roboters aus granularer Materie minderer Qualität hergestellt und eröffnet eine neue Kategorie regellos gepackter, zur Gänze rückbaubarer, polydisperser Strukturen, die durch ein „Jamming“ genanntes Verfahren des Zusammenpressens automatisch zu nicht standardisierten Formen verfestigt werden können. Wir haben die Möglichkeit, die Rückbaubarkeit und Wiederverwendbarkeit aggregierter Materialien, eine strukturell aktive Selbstverzahnung, ein differenziertes Strukturverhalten, das geometrische Flexibilität und Gliederung zeigt, in Aktion zu beobachten. Das präsentierte Objekt wirkt zunächst wie eine Skulptur, sieht man sich das Verfahren genauer an, wird jedoch klar, dass die elegante Form größeres Potenzial für das Feld der Architektur hat.

Die Gruppe entwickelte dieses Projekt, um Methoden und Techniken für das Design und das robotergestützte Aggregieren von Baumaterial minderer Qualität zu selbsttragenden architektonischen Konstruktionen zu erforschen, die zur Gänze recycelbar und mit hoher geometrischer Flexibilität und minimalem Materialverlust rekonfigurierbar sind. Vorstellbar sind etwa neu konfigurierte architektonische Konstruktionen, die bei Bedarf aufgebaut und wieder in das Ausgangsmaterial zurückverwandelt werden können, die mobil sind und in die Form gebracht werden können, die am nächsten Standort benötigt wird.

Der vermehrte Einsatz von Robotik sorgt für einen grundlegenden Wandel der Bauindustrie und der Bautechniken und eine zunehmende Automatisierung sowohl in als auch ex situ. Dies impliziert weitreichende Veränderungen, ja sogar den Verzicht auf manuelle Arbeit, was viele Fragen für die Zukunft des Bauens  – in großem wie in kleinem Maßstab – aufwirft. Dieses Projekt zeigt nicht nur das Potenzial zukünftiger Konstruktionsweisen auf, sondern thematisiert auch Problemfelder, denen man sich einfacher annähern kann, wenn man sieht, wie funktionelle und ästhetische Qualitäten Architektur bis hinab zur Ebene des Materials „inspirieren“ und beeinflussen.